Februar 7, 2019

Mein See

Eine Woche nach der ersten Dosis dann die Kontrolle der Blutwerte. War Musterpatient, will mir mein Lob abholen. Die Schwester schaut besorgt-die Thrombos Leukos Eurys –  was man da so mißt – sind im Keller, schlechter als zu erwarten war. Jede Infektion wird damit zum Risiko.

Kein U-Bahn fahren, keine Menschenmengen. All das wirft mich komplett nieder, dachte doch ich vertrag das ganz gut? Seelisches Tief. Da – die Nase bereits komplett verstopft, jetzt kämpfe ich gegen Krebs und verrecke an einer Erkältung. Mein Mann ist da und nimmt mich in den Arm – die verstopfte Nase kommt von der Heulerei und wird wieder besser.

Recherche: Was tun gegen schlechte Blutwerte? Ein paar Dinge werde ich versuchen zu beherzigen:

  • sich nicht selbst die Schuld geben
  • Kein Geld an irgendwelche Geschäftemacher verplempern, die ‚Krebsvitamine‘ anbieten
  • Bewegung fördert die Blutbildung

Also ab in die Klamotten.

Das Vorbild der Omi ist sowieso sehr präsent dieser Tage – auch Brustkrebs. Nach allen Tiefschlägen hat sie sich immer wieder aufgerappelt und ist eisern diszipliniert in Augsburg um den Kuhsee gestapft. Jeden Tag, bei Wind und Wetter, um 6:00 morgens. JEDEN Tag. Habe meinen eigenen See, ein trübes Loch, eingepfercht zwischen den Sozialsiedlungen am Stadtrand Hamburgs und den Gewerbegebieten der Nachbargemeinde. Auf den Bänken sammelt sich im Sommer das Treibgut: Die, die eine Flasche Bier zum Festhalten brauchen. Die, die hier nicht zu Hause sind und vergessen haben, wo das war. Dieselbe Glanzlosigkeit in den Augen wie auf der Krebstation.

Mißmutig stapfe ich meine Runde, Regen peitscht, der Wind erreicht Sturmstärke.

Die Omi hatte noch kein MRT. Bestrahlung und Chemotherapie im Vergleich zu heute eher ein Schuß mit der Schrotflinte als ein Präzisionsgewehr. Und kein Ehemann hat ihre Hand gehalten: Aus Kriegsgefangenschaft mit chronischer Leberentzündung heimgekehrt, früh verstorben. Zwischen der ersten Diagnose Brustkrebs und dem Sieg des Krebses in der Leber ein selbstbestimmtes Leben – mit vielen Kreuzfahrten.

„Schmeiß noch deinen Ast auf mich“ fauche ich den alten Baum innerlich an, als es über mir bedenklich knarrt.

Die Schwester ruft an und begleitet mich so auf dem Rest meines Spaziergangs. Zwei Feldhasen im vollen Galopp kreuzen meinen Weg.

„Ich werfe nicht mit Ästen. Der Wind nimmt sie mir, wenn die Zeit kommt“ knurrt der Baum.

Eigendiagnose – zuviel Peter Wohlleben-Hörbuch.

Jeden Tag. Muss ja nicht um 6:00 sein.

 

 

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